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Dwarves

Die Dwarves1 [Zwerge] sind in Tolkiens Mythologie nicht von Ilúvatar selbst, sondern vollkommen getrennt von einem der Valar (Aulë) geschaffen worden2. Damit nehmen sie eine gesonderte Position unter den Völkern Mittelerdes ein. So stellt Tolkien sie meist als zurückgezogen und konservativ dar und sagt selbst über sie:

"I do think of the 'Dwarves' like Jews: at once native and alien in their habitations, speaking the languages of the country, but with an accent due to their own private tongue."3

Im Hinblick auf die Erhaltung der eigenen Kultur ist dies sicherlich ein treffender Vergleich. Allerdings sollte man sich derartigen Spekulationen nicht allzu sehr hingeben, denn spätestens bei der geradezu sprichwörtlichen Goldgier von Tolkiens Zwergen4 bewegen sich eventuelle Analogien auf so gefährlichem Boden, dass man gut beraten ist, die Parallelen nicht zu überdehnen.

Die Herkunft der dwarfs5 aus nordischer Folklore zeigt eine gewisse Nähe zur Boshaftigkeit von Kobolden6 ("...they frequently sought to do mischief to men"7). Diese unfreundliche Art hat Tolkien nur zum Teil übernommen, gleichwohl nicht ohne eine detaillierte Begründung, warum seine Zwerge als relativ isolierte Bevölkerungs­gruppe Fremden gegenüber misstrauisch sind:

"Since they were to come in the days of the power of Melkor, Aulë made the Dwarves strong to endure. Therefore they are stone-hard, stubborn, fast in friendship and in enmity, [...]"8

Diese Sturheit ist von vielen Rollenspielsystemen aufgegriffen worden, so z.B. von EarthDawn9, DSA10 und AD&D11. Ihre Bevorzugung von unter­irdischen Behausungen, die Tolkien auf Gebirge konzentriert hat, stammt ebenfalls aus der nordischen Tradition12 und reicht dort sogar bis zu Wohnorten unter Wasser13. Tolkiens Dwarves halten aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung mit Wasser aber lieber Abstand zu größeren Gewässern - ebenso wie die Zwerge in AD&D14, DSA15 und EarthDawn16. Auch mit Metall­bearbeitung kennen sich Zwerge traditionell aus: So weist Gasque darauf hin, dass viele Schwerter der nordischen Sagenwelt von ihnen geschmiedet wurden17. Auch ihre Körpergröße, ihre hierarchischen Monarchien, ihre Schätze und ihre große Körperkraft18 hat Tolkien unmittelbar aus der nordischen Überlieferung entnommen19. Lediglich die (für nordische Zwerge typische) Nutzung von großen Reittieren (d.h. größer als die Ponies im Hobbit) hat Tolkien für seine Dwarves ausgeschlossen: Die Unsicherheit, die Gimli gegenüber den Pferden der Rohirrim zeigt20, ist aber mit der Lebensweise von Tolkiens Zwergen vollständig erklärbar: unter Tage lassen sich keine Pferde halten. Dieses für Tolkien typische Konzept findet sich z.B. in EarthDawn21 und AD&D22 wieder.

Auch die Verwendung von Äxten23 (siehe Abbildungen 24-26) statt Schwertern scheint zum großen Teil auf Tolkien zurück zu gehen und findet sich heute in praktisch allen Darstellungen von Zwergen im fantasy-Bereich wieder. Dabei leuchtet dies vor allem deshalb ein, weil die Beile dieses Volkes eine Mischform zwischen Waffe und Werkzeug darstellen: somit wird der handwerkliche Aspekt ("craft") der Zwerge betont. Kocher geht sogar so weit, die Vertiefung der Dwarves in ihr Handwerk hauptsächlich als Kompensation ihrer sexuellen Frustration24 zu interpretieren:

Bemängelt man nämlich die fast völlige Abwesenheit von Zwergenfrauen in Tolkiens Werk, so ist dazu vor Allem anzumerken, dass er diese Schwäche zunächst aus der Vorlage der nordischen Sagenwelt übernommen hat: Ich konnte keine Hinweise auf weibliche Zwerge in älteren Überlieferungen finden. Da er sich offenbar dieses Mangels bewusst wurde, verwies er im Anhang des LotR darauf, dass nur ein Drittel aller Zwerge weiblich seien und deshalb besonders behütet würden25. Auch seien sie den männlichen Zwergen so ähnlich, dass Außenstehende sie gar nicht von ihnen unterscheiden könnten, wenn sie tatsächlich einmal reisen müssten26. So klärt er auch die Problematik der Sieben Väter der Zwerge erst nachträglich, indem er ihnen 6 Frauen hinzufügt27. Damit öffnet sich Tolkien im Nachhinein ein Hintertürchen, um seine Zwerge nicht mit den unfruchtbaren Kräften des Bösen in Verbindung zu bringen. Trotz allem belegt die eher marginale Behandlung dieses Themas aber den blinden Fleck des LotR in Bezug auf Sexualität. Dieses deutliche Ungleichgewicht zwischen zwergischen Männern und Frauen ist in DSA mit einem Verhältnis von 3:128 sogar noch verstärkt worden - vermutlich, um die männlichen Charak­teristika dieser Rasse hervor­zuheben: Auch die Herkunft der Zwerge aus Stein29 findet sich dort wieder30. Lediglich die durch­schnittliche Lebensdauer wird hier etwas angehoben: so lebt ein Zwerg in in DSA ca. 300-400 Jahre31 gegenüber Tolkiens Dwarves mit ca. 250 Jahren32 (in MERP: 200-400 Jahre33) und AD&D-Zwergen mit rund 350 Jahren34.

Bei dieser weitgehend männlich geprägten Darstellung der Zwerge sind unter Fans Diskussionen aufgekommen, ob die von Tolkien beschriebene äußere Ähnlichkeit von Zwergenfrauen und ~männern bedeutet, dass auch weibliche Zwerge Bärte trugen; es weist nämlich alles darauf hin, dass männliche Zwerge ausnahmslos bärtig waren. Die Tatsache, dass der reine Text von Tolkien in der Tat kaum andere Folgerungen zulässt35, zeigt einmal mehr Inkonsistenzen des Werks auf: So würde Tolkien vermutlich darauf verweisen, dass Gimlis Aussagen zu diesem Thema nicht unbedingt maßgeblich sein müssen etc. - hier wird deutlich, wie dieser Randbereich für Tolkien offenbar keine besondere Wichtigkeit besaß. Betrachtet man also die Umsetzung in MERP, so fällt auf, dass hier ebenfalls keine Interpretation angeboten, sondern der Original­text36 fast wörtlich übernommen wird37 - die Unsicher­heit bleibt also. Höchst interessant daher die grafische Darstellung der Zwergenfrau Dís38 - die bis zur Nase vermummt [!] ist (siehe Abbildung 27), ganz offensichtlich um diese Streitfrage nicht klären zu müssen. In DSA39 und D&D40 wird dagegen konkret darauf verwiesen, dass nur männliche Zwerge bärtig sind (siehe Abbildung 26); hier ergibt es mehr Sinn, außerhalb von Tolkiens Welt klare Verhältnisse zu schaffen. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie diese vielleicht unwichtige, aber doch interessante Frage z.B. in Pratchetts "Discworld II"-Computerspiel41 auftaucht, in dem tatsächlich eine bärtige Zwergenfrau auftritt - hier aber natürlich als komisches Element. Die humoristischen Implikationen dieser Problematik weisen deutlich auf Lücken in Tolkiens fiktionaler Welt hin.

Die Feindschaft zwischen dwarves und elves scheint in der Sagenwelt keine Entsprechung zu finden42 und damit auf Tolkien zurückzugehen. Das geringe Alter dieses Konzepts liegt nicht zuletzt daran, dass in fairy-tales eine klare Trennung von Zwergen und Elfen oftmals gar nicht vorliegt43 - diese Schwammigkeit der Märchentradition führt auch heute noch z.B. zu spitzohrigen (s.o.) Zwergen (siehe Abbildung 28), obwohl gleichzeitig auf deren gespanntes Verhältnis zu Elfen hingewiesen wird. Schon in der Gefangennahme von Thorins Gemeinschaft durch Thranduil im Hobbit wird das unterkühlte Klima zwischen Zwergen und Elben deutlich44. Dabei ist es interessant, dass ausgerechnet dieser Aspekt weite Verbreitung in der fantasy-Welt gefunden hat, so z.B. in AD&D45, EarthDawn46 und DSA47: Dadurch wird das Verständnis von Gut und Böse verkompliziert und realistischere Graustufen im Spektrum angelegt. Die überspitzte Betrachtungsweise einer Parodie zeigt aber auch, wie solche Abneigungen in offenen Rassismus umschlagen können: So wird dieses bei Tolkien nur vorsichtig angedeutete Problem in "Bored of the Rings" gnadenlos ausgewalzt48.

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1Zum Plural von dwarf: Selbst heute ist in der englischsprachigen Welt "dwarfs" [!] noch die bevorzugte Form (Mish 1994, Hanks 1981), während in deutschen Übersetzungs­wörterbüchern fast nur noch "dwarves" zu finden ist (Breitsprecher 1983, Messinger 1992). Außenstehenden fällt die over-generalization bzw. konsequente Anwendung der "-f zu -ves"-Pluralbildung offensichtlich leichter als Mutter­sprachlern. Zu deren Entschuldigung darf aber angemerkt werden, dass Tolkien selbst zugab, hier eine Wissenslücke zu haben (Letters, #25, p.31)

2Silmarillion, p.49.

3Letters, #176, p.229.

4vgl. den Raub des Nauglamír: Silmarillion, pp.281.

5Ähnlich wie bei "Elben" für elves und "Orcs" für goblins hat man hier in der zweifachen Schreibung von dwarfs bzw. "Dwarves" die Möglichkeit, schon durch das Schriftbild deutlich zu machen, ob man den Begriff im traditionellen oder im Tolkien'schen Sinne gebraucht.

6Briggs, Katherine: "Some Unpleasant Characters among British Fairies", in: Newall (1980), p.144.

7Gasque, Thomas J.: "Tolkien: The Monster and the Critters", in: Isaacs (1968), p.159.

8Silmarillion, pp.50-51.

9Laubenstein (1997): "5. Major Races of Barsaive: Dwarf": "...quick to latch onto a single solution, and quite stubborn".

10Kiesow (1992), p.60: "Sie sind zuverlässig - als Freunde wie als Feinde." und ebd.: "Beharrlichkeit".

11Cook (1989): "Dwarves": "Dwarves tend to be dour and taciturn."

12Yearsley,(1924), p.11: "...little men, dwarfs, and gnomes, who were supposed to haunt caves and retired places in the mountains,..."

13Gasque, Thomas J.: "Tolkien: The Monster and the Critters", in: Isaacs (1968).

14Cook (1989): "Dwarves": "Dwarves like the earth and dislike the sea."

15Raddatz (1993), p.20: "...kein Wunder, daß sie [...] Schiffen auf hoher See [...] nichts abgewinnen können."

16Laubenstein (1997): "5. Major Races of Barsaive: Dwarf": "They also dislike traveling over open water."

17Gasque, Thomas J.: "Tolkien: The Monster and the Critters", in: Isaacs (1968).

18vgl. hierzu z.B. den Zwerg Alberich aus dem Nibelungenlied: Brackert (1998) Band 1, p.27.

19Gasque, Thomas J.: "Tolkien: The Monster and the Critters", in: Isaacs (1968), p.160.

20LotR II, p.45: [Gimli]: "I would sooner walk than sit on the back of any beast so great, free or begrudged."

21Laubenstein (1997): "5. Major Races of Barsaive: Dwarf": "Dwarfs generally refuse to travel on riding animals..."

22Cook (1989): "Dwarves": "...ill-suited for riding horses or other large mounts (although ponies present no difficulty)."

23vgl. LotR I, pp.364-365: "..., and in his [Gimlis] belt was a broad-bladed axe."

24Kocher (1972), p.105.

25vgl. Tyler (1979), p.131: "..., possibly because the Dwarves were exceedingly jealous of their women and went to great pains to conceal their whereabouts (if not their actual existence)".

26LotR III, p.450.

27Bezeichnenderweise tauchen die 6 Mütter der Zwerge nur in einer winzigen Fußnote auf: Letters, #212, p.287.

28Raddatz (1993), p.19.

29Silmarillion, p.51.

30Raddatz (1993), p.18.

31Raddatz (1993), p.19.

32LotR III, p.451.

33Fenlon (1989), p.46

34Cook (1989): "Dwarves".

35Für eine ausführliche Diskussion dieses Problems vgl. Hunt, Peter: "Did dwarf women have beards?", in: Tolkien FAQ. Download am 20. Juni 1999 von: http://godzilla.eecs.berkeley.edu/rolozo/

36LotR III, Appendix A, p.450.

37Fenlon (1989), p.46.

38LotR III, p.450: "Dís was the daughter of Thráin II. She is the only dwarf-woman named in these histories."

39Kiesow (1992), p.60.

40Brown (1992), p.17.

41"Discworld II - Missing Presumed...?" [PC-Spiel nach Terry Pratchett] von Perfect Entertainment, Vertrieb: Psygnosis 1997.

42Gasque, Thomas J.: "Tolkien: The Monster and the Critters", in: Isaacs (1968), p.160.

43So sind in vielen nordischen Überlieferungen die elves eine Unterart der dwarfs, während die keltischen Mythen die beiden Arten voneinander trennen. Clute (1997), p.304.

44Zwerge haben allen Grund, Elben zu misstrauen: die Petty Dwarves z.B. hatten sehr unter ihnen zu leiden: "[the Elves] hunted them for sport." Day (1993), p.190.

45Cook (1989): "Dwarves": "Not overly fond of elves,..." und "Elves": "They [...] have little love for dwarves,..."

46Laubenstein (1997): "20. Barsaive": "The dwarfs dislike the elves."

47"Sternenschweif" (Teil 2 der Nordland-Trilogie von DSA) [Computerspiel für MS-DOS], 1994. Zitiert nach: Powerplay 2/97, p.132.

48Legolam und Gimlet sind sich hier Spinnefeind: Beard (1993), z.B. p.53.

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